I. Einführung
Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei einem Theater beschäftigt sind, gelten arbeitsrechtliche Besonderheiten. Die Arbeitsverhältnisse werden im Wesentlichen durch Tarifvertrag geregelt.
Für die Bühnenkünstler finden sich die arbeitsrechtlichen Regelungen im Tarifvertrag „NV Bühne“ (Normalvertrag Bühne).
II. (NV Bühne) Abgrenzung öffentliche Bühnen – Privattheater
Der Tarifvertrag „NV Bühne“ gilt für Solomitglieder, Bühnentechniker sowie Opernchor- und Tanzgruppenmitglieder an Bühnen innerhalb der BRD oder Bühnen, die von einem Land, einer oder mehreren Gemeinden, einem oder mehreren Gemeindeverbänden ganz oder überwiegend rechtlich oder wirtschaftlich getragen werden.
In Abgrenzung dazu liegt ein Privattheater vor, wenn das Theater von einer oder mehreren natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts getragen wird, an der keine juristische Person der öffentlichen Rechts beteiligt ist. Zulässig ist aber die Beteiligung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an der Trägerschaft, sofern diese nicht überwiegt und die Finanzierung nicht überwiegend aus öffentlichen Mitteln bestritten wird. Für Mitglieder, die bei Privattheatern beschäftigt sind, gilt der Tarifvertrag NV Bühne nur, wenn das Privattheater Mitglied im Deutschen Bühnenverein ist. Anderenfalls gilt der Tarifvertrag nicht. Es ist dann auf die vertraglichen Regelungen des Arbeitsvertrages und die allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen oder ggf. einen Haustarifvertrag abzustellen.
III. (NV Bühne) Besonderheit: Gastspielvertrag
Der NV Bühne gilt für Solomitgliedern, mit denen Gastspielverträge abgeschlossen werden, bis auf wenige Ausnahmen (Schiedsgerichtsbarkeit, Vermittlungsgebühr Solo, Ausschlussfristen) gemäß § 1 Absatz 5 NV Bühne, nicht. Dies gilt auch für Aushilfen, die nur auf Stückdauer oder für einzelne Inszenierungen beschäftigt sind. Gastspielverträge werden abgeschlossen, um das ständige Personal zu ergänzen und den Spielplan auszugestalten. Die Mitwirkung im Rahmen eines Gastspielvertrages gilt nur für eine bestimmte Anzahl von Aufführungen, jedoch nicht für mehr als 72 Stunden der Spielzeit. Bei Serientheatern kann ein Gastspielvertrag nur angenommen werden, wenn das dem Gast bewilligte Entgelt die festen Bezüge der meisten anderen beschäftigten Mitglieder weit übersteigt.
IV. Vertragsschluss
Der Arbeitsvertrag ist schriftlich abzuschließen und Änderungen bedürfen ebenfalls der Schriftform. Ein Bühnenarbeitsvertrag ist mit Rücksicht auf die künstlerischen Interessen ein Vertrag auf Zeit.
Folgende Angaben sind in den Arbeitsvertrag aufzunehmen:
– Bezeichnung der Bühne(n), für die das Mitglied angestellt wird
– die Zeit, für die der Arbeitsvertrag abgeschlossen wird und die Kalendertage, an denen das Arbeitsverhältnis beginnt und endet
– Art der Beschäftigung: Solomitglied, Bühnentechniker, Opernchormitglied oder Tanzgruppenmitglied
– für Solomitglieder: spezifische Tätigkeit gem. § 1 Absatz 2 NV Bühne und bei darstellenden Solomitgliedern die Kunstgattung bzw. das Kunstfach
– für Bühnentechniker: spezifische Tätigkeit gem. § 1 Absatz 3 NV Bühne und die vereinbarte durchschnittliche Wochenarbeitszeit
– für das Opernchormitglied: Kunstfach, Stimmgruppe: 1. Sopran, 2. Sopran; 1. Tenor, 2. Tenor, 1. Alt, 2. Alt, 1. Bass, 2. Bass
– für das Tanzgruppenmitglied: eventuelles Bestehen einer Verpflichtung zu Sololeistungen
V. Vergütung
Die Vergütung ist für die einzelnen Beschäftigungsgruppen im Tarifvertrag gesondert geregelt. Im Arbeitsvertrag ist die Gage zu vereinbaren. Die Vergütung besteht aus der Gage und dem Urlaubsgeld. Zudem erhält jedes Mitglied eine Zuwendung für jede Spielzeit, in welcher es bei derselben Bühne mindestens 9 Monate arbeitsvertraglich beschäftigt war. Die Zuwendung ist am letzten Gehaltszahlungstermin der Bühne vor dem Beginn der Theaterferien zu zahlen.
Die regulären Vergütungen (Gage, Urlaubsgeld) sind für den jeweiligen Kalendermonat zu berechnen und am 15. jedes Monats für den laufenden Monat auf das Girokonto des Mitglieds zu zahlen. Der 15. gilt als der Tag das Zahlungseinganges auf dem Konto, d.h. die Vergütung ist rechtzeitig vor jedem 15. zu überweisen. Wenn der Zahltag auf einen Samstag oder Wochenfeiertag fällt, gilt der vorhergehende Werktag. Fällt der Zahltag auf einen Sonntag, gilt der zweite vorhergehende Werktag.
Das Mitglied hat Anspruch auf die Aushändigung von Abrechnungen über die gezahlte Vergütung.
VI. Arbeitsrechtliche Besonderheiten bei Vertragsbeendigung
Besonders bei der Beendigung des Vertrages unterscheidet sich das Bühnenrecht vom regulären Arbeitsrecht. Es ist dadurch geprägt, dass der Arbeitsvertrag durch die Nichtverlängerungsanzeige beendet werden kann, aber auch eine Kündigung möglich ist. Die Nichtverlängerungsanzeige an sich stellt keine Kündigung dar. Ein weiterer wichtiger Unterschied zum regulären Arbeitsrecht besteht in der besonderen Gerichtsbarkeit, da spezielle Bühnenschiedsgerichte für die Klärung von Rechtsstreitigkeiten zuständig sind und der Rechtsweg somit nicht zu den Arbeitsgerichten führt.
1. Nichtverlängerungsanzeige
Ein Bühnenarbeitsvertrag, der für mindestens eine Spielzeit abgeschlossen wurde, verlängert sich um eine weitere Spielzeit, sofern eine Vertragspartei der anderen nicht vorher schriftlich mitteilt, dass der Vertrag sich nicht verlängern soll (Nichtverlängerungsanzeige). Der Zeitpunkte für die Abgabe der Nichtverlängerungsanzeige ist je nach den Sonderregelungen im NV Bühne der 31. Oktober oder der 31. Juli der Spielzeit, mit deren Ablauf der Arbeitsvertrag endet. Die Frist verlängert sich mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses. Bei einer Beschäftigungszeit von über 8 Jahren muss die Nichtverlängerungsanzeige bis zum 31.Juli der jeweils vorangegangenen Spielzeit erfolgen. Einen Bestandsschutz für das Arbeitsverhältnis gibt es erst nach 15 Jahren (Spielzeiten). Dann kann der Arbeitgeber die Nichtverlängerungsanzeige nur in Form einer Änderungsanzeige aussprechen, d.h., dass das Arbeitsverhältnis unter anderen Vertragsbedingungen fortzusetzen ist.
Wenn das Arbeitsverhältnis am Ende der Spielzeit länger als ununterbrochen 8 Jahre bestanden hat, können der Arbeitgeber und das Mitglied vertraglich vereinbaren, dass bis zu 4 Spielzeiten der nachfolgenden Spielzeiten nicht auf die 15 Jahre angerechnet werden.
Bevor die Nichtverlängerungsanzeige ausgesprochen werden darf, muss das Mitglied zu einer Anhörung eingeladen werden. Auf Wunsch des Mitglieds, kann dieses schriftlich verlangen, den Sprecher der Sparte, der das Mitglied angehört oder ein vom Mitglied benanntes Vorstandsmitglied des Orts-/Lokalverbandes einer der vertragschließenden Gewerkschaften, das an der gleichen Bühne beschäftigt ist, ebenfalls anzuhören. Die Einladung zur Anhörung muss 5 Tage vor dem Anhörungstermin an die dem Arbeitgeber bekannte Adresse abgesendet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, ob gerade Theaterferien sind oder sich das Mitglied in einem Gastierurlaub befindet. Dann muss die Anhörung spätestens 2 Wochen vor dem maßgeblichen Zeitpunkt (31. Juli oder 31. Oktober) erfolgen.
Sollte das Mitglied durch Arbeitsunfähigkeit oder aus einem anderen Grund den Anhörungstermin nicht wahrnehmen können, oder nimmt das Mitglied die Anhörung nicht wahr, kann die Anhörung entfallen. Jedoch kann das Mitglied den Arbeitgeber verpflichten, den Sprecher der Sparte, der das Mitglied angehört oder ein vom Mitglied benanntes Vorstandsmitglied des Orts-/Lokalverbandes einer der vertragschließenden Gewerkschaften, das an der gleichen Bühne beschäftigt ist, zu hören.
Unterbleibt die Einladung und Anhörung des Mitglieds, ist die Nichtverlängerungsanzeige unwirksam.
2. Kündigungsmöglichkeiten
Wie im regulären Arbeitsrecht auch, kennt das Bühnenrecht die ordentliche und die außerordentliche Kündigung.
Ordentliche Kündigung
Die ordentliche Kündigung ist in § 43 NV Bühne geregelt und kann nur so ausgestaltet werden, dass zum Schluss eines Vertragsjahres oder einer Spielzeit mit einer Frist von 6 Wochen schriftlich gekündigt werden darf.
Außerordentliche Kündigung
Zur außerordentlichen (fristlosen) Kündigung sind sowohl der Arbeitgeber als auch das Mitglied bei Vorliegen eines wichtigen Grundes berechtigt. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund welcher dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung nicht mehr zugemutet werden kann. Auch diese Kündigung bedarf der Schriftform. Die Kündigung kann nur innerhalb einer 2-Wochen-Frist erfolgen, wobei die Frist mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende hat der anderen Vertragspartei auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitzuteilen.
3. Abfindung bei Intendantenwechsel
Wenn die Nichtverlängerungsanzeige aufgrund eines Intendantenwechsels und in der ersten Spielzeit nach dem Intendantenwechsel, ausgesprochen wird, erhält das Mitglied eine Abfindung, die abhängig von der Beschäftigungsdauer ermittelt wird:
Danach beträgt die Abfindung bei ununterbrochener Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber:
– 3 Monatsvergütungen bei 4 Jahren
– 4 Monatsvergütungen bei 6 Jahren
– 5 Monatsvergütungen bei 9 Jahren
– 6 Monatsvergütungen bei 12 Jahren.
Weitere Voraussetzung für die Zahlung einer Abfindung ist allerdings, dass das Mitglied innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung des Vertrages kein anderweitiges volles Engagement erhalten hat.
Eine weitere Besonderheit hinsichtlich des Intendantenwechsels besteht bei der Anhörung: Im Anhörungstermin reicht der bloße Hinweis auf den Intendatenwechsel zur Begründung für die Nichtverlängerungsanzeige aus.
4. Umzugskosten
Das Mitglied kann einen Vorschuss auf die Abfindung erhalten, wenn es nach dem beendeten Arbeitsverhältnis an einen anderen Ort umzieht. Der Vorschuss ist allerdings dann zurückzuzahlen, wenn dem Mitglied kein Anspruch auf die Abfindung zusteht, bspw. weil es innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein unter den Tarifvertrag NV Bühne fallendes Arbeitsverhältnis oder ein anderes volles Arbeitsverhältnis begründen konnte.
Erfolgt ein Umzug des Mitglieds aufgrund des Intendatenwechsels und damit verbundenen Nichtverlängerungsanzeige in der ersten Spielzeit nach dem Intendatenwechsel und war das Mitglied noch nicht ununterbrochen 4 Spielzeiten an derselben Bühne beschäftigt, erhält es einen Zuschuss zu den Umzugskosten. Die Höhe des Zuschusses beträgt die Hälfte der tatsächlichen Umzugskosten, höchstens aber eine Monatsvergütung. Der Zuschuss ist in einer Summe zu zahlen; Leistungen von einer anderen Bühne oder aus öffentlichen Mitteln zu den Umzugskosten sind anzurechnen.
Die vorgestellten Regelungen zum Intendantenwechsel und dem Umzugskosten gelten nicht für Musikalische Oberleiter, Direktoren des künstlerischen Betriebes, leitende Regisseure der Oper oder des Schauspiels, Ausstattungsleiter und Chefdramaturgen sowie Referenten des Intendaten. Außerdem gelten die Regelungen nicht, wenn das Mitglied bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Altersrente aus einer gesetzlichen oder arbeitgeberseitigen Rentenversicherung oder Versorgungseinrichtung hat.
VII. Rechtsschutz bei Vertragsbeendigung
Es besteht die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Nichtverlängerungsanzeige gerichtlich überprüfen zu lassen. Eine Klage gegen die Nichtverlängerungsanzeige ist innerhalb von 4 Monaten nach dem maßgeblichen Termin (31. Juli oder 31. Oktober) zu erheben.
Dabei besteht die Besonderheit, dass nicht das Arbeitsgericht zuständig ist, sondern speziell eingerichtete Bühnenschiedsgerichte. Die Arbeitsgerichtsbarkeit ist ausgeschlossen. Bei Vertragsschluss wird zusätzlich zum NV Bühne eine einzelvertragliche Schiedsabrede getroffen, die den Rechtsweg bestimmt:
1. Instanz: Bezirksbühnenschiedsgericht
Deutschlandweit gibt es folgende Bezirksbühnenschiedsgerichte:
Bühnenschiedsgericht Berlin für Berlin und Brandenburg, Lützowstraße 106, 10785 Berlin
Bühnenschiedsgericht Chemnitz für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, c/o Arbeitsgericht Chemnitz, Zwickauer Straße 54, Zimmer 107, 09112 Chemnitz
Bühnenschiedsgericht Frankfurt am Main für Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg, c/o Landesarbeitsgericht Frankfurt am Main, Adicksallee 36, 60433 Frankfurt am Main
Bühnenschiedsgericht Hamburg für Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern, c/o Landesarbeitsgericht Hamburg, Osterbekstraße 96, Zimmer 417, 22083 Hamburg
Bühnenschiedsgericht Köln für Nordrhein-Westfalen, Blumenthalstraße 33, 5670 Köln
Bühnenschiedsgericht München für Bayern, c/o Arbeitsgericht München, Winzererstraße 104, 80797 München
2. Instanz: Bühnenoberschiedsgericht
Das Bühnenoberschiedsgericht befindet sich in Frankfurt am Main, Launitzstraße 20, 60594 Frankfurt am Main
Obmann: Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Frankfurt Frank Launhard
3. Weitere Instanzen
– Arbeitsgericht Köln für die revisionsähnliche „Aufhebungsklage“
– für weitere Rechtszüge: Landesarbeitsgericht Köln und Bundesarbeitsgericht.